
Durch dieses traurige Tor mag niemand auf die Messe gehen (sehr frei nach Schiller): Der Autor dieses Blogbeitrags hat es im waghalsigen Selbstversuch während der Zukunft Personal 2015 gewagt, dramatische Folgen blieben aus.
Vorab möchte ich feststellen: Ich bin ein Fan der Zukunft Personal. Erstens liegt sie vor meiner Haustür. Zweitens tummelt sich dort fast die gesamte HR-Dienstleistungsbranche und drittens wird die Messe seit einigen Jahren immer mehr zum „Messekongress“ (falls es so etwas gibt). Ein gutes Ambiente also, um Witterung für die gespielten Themen aufzunehmen (für mich ja nicht ganz unwichtig). In diesem Jahr habe ich nach einem Jahr Abstinenz meinen zehnten Messebesuch absolviert. Gibt es eigentlich keine Zehnerkarten?
Teurer als die IAA, aber billiger als ein Spontanbesuch auf der demexco
Formal fielen mir einige Dinge in diesem Jahr auf: Der Messeeintritt kostete in diesem Jahr für alle drei Tage 100 Euro. Das find ich für das gebotene Programm eigentlich nicht zu teuer. Allerdings wies mich ein Geschäftspartner am Rand der Messe darauf hin, dass der Eintritt zur Zukunft Personal deutlich teurer sei als der zur Internationalen Automobilausstellung IAA. Tja, die lieben Messepreise: Mein gewohnter Bummel über die dmexco fiel in diesem Jahr aus. Ich hatte versäumt, mir eine Gratiskarte für Frühbucher zu sichern und 400 Euro waren mir für ein kurzes Bad in der Menge der Online-Marketiere einfach zu viel.
Dominierender Frontalunterricht
Doch zurück zur Zukunft Personal: Die kulinarische Verpflegungslage ist für normale Messebesucher wie mich immer noch dürftig (vgl. meine Bemerkungen in diesem Blog zur Zukunft Personal 2010). Und die meisten Veranstaltungen des Hauptprogramms bestehen immer noch aus traditionellem Frontalunterricht, „Frontalunterricht an Industriebockwurst“ sozusagen. Zwei wohltuende Ausnahmen vom Frontalunterricht sind mir persönlich positiv aufgefallen (es gab sicher noch mehr): Zum einen der Live-Pitch der HR-Beratungen Kienbaum und Promerit.
Berater im Pitch: Outing der Mutlosen
Das Format war zumindest für mich neu. Sowohl Kai Anderson von Promerit als auch Walter Jochmann von Kienbaum haben sich auf ihre eigene Weise gut geschlagen. Das war nicht weiter überraschend: Beide gehören ja zu den vom Personalmagazin gekürten „40 führenden Köpfen des Personalwesens“ und müssen Transparenz nicht fürchten. Apropos Transparenz: Zum hohen Unterhaltungswert der Runde trug ebenso der Moderator Rainer Straub vom Personalmagazin bei: Als Einleitung zum Pitch las er mit hörbarem Genuss die Namen derjenigen Unternehmensberatungen vor, die eingeladen wurden, aber vor dem Live-Pitch gekniffen haben…
Aktivierung des Publikums tut Veranstaltungen gut
Auf einer vom Setting her eher traditionellen Podiumsdiskussion zum Thema BGM im Mittelstand ging Erwin Stickling von der Personalwirtschaft diesmal besonders beherzt auf das Publikum zu und konnte so die Podiumsdiskussion spontan durch wertvolle Einblicke aus der mittelständischen Praxis bereichern. Das fiel mir auf, weil es auf den meisten HR-Veranstaltungen nicht gelingt, die Zuhörer tatsächlich mit einzubeziehen. Das wird meist als lästige Pflichtübung in den letzten zwei Minuten abgehandelt.
So viel Wandel war noch nie: Arbeiten 4.0
Kommen wir zu den Inhalten. In diesem Jahr überall im Mittelpunkt: Arbeiten 4.0, das offizielle Leitthema der Messe, mit den nachgeordneten Themen „New Work“, „Agile Leadership“, „Digitale Transformation“ (war auch das Thema des oben geschilderten Beraterpitches), „Industrie 4.0“. Klar: Alle Jahre wieder wird auf den Großveranstaltungen der Zunft eine neue Sau durchs Dorf getrieben.
Schere zwischen Hipstern und Nachzüglern geht weiter auf
Und nicht alles, was diskutiert wird, ist auch für die HR-Praktiker relevant. Ich persönlich hatte bei einigen, in diesem Jahr auf der Messe verhandelten Themen den Eindruck, dass die Schere in HR zwischen diskursiver Realität und der gelebten Praxis immer weiter auseinandergeht: Während die einen zum Beispiel schon von Big Data reden, versuchen die anderen verzweifelt aus ihren eigenen unzulänglichen Systemen verlässlich die eigenen FTEs herauszulesen.
Mit Transformationsthemen den Nerv getroffen
Mit dem gewählten Thema haben die Messeveranstalter in diesem Jahr aber dennoch einen Nerv getroffen: Einiges spricht dafür, dass die Mitgestaltung des Wandels tatsächlich aktuell im Mittelpunkt eines HR-Managements mit strategischem Anspruch steht. Wenn Kunden neuen Typs von ihren Zulieferern plötzlich keine Entwicklungszyklen von einem Jahr, sondern von wenigen Monaten erwarten, kollidiert das zum Beispiel heftig mit den Strukturen in einer klassischen Command-and-Control-Organisation.
Employer Branding depriorisiert
Agile Leadership ist dann kein hippes Megathema mehr, sondern eine Tagesaufgabe für HR, die notwendig wird, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu sichern. An allen Ecken der Messe ging es diesmal also um solche Transformationsthemen. Weit in den Hintergrund fielen die Megathemen der früheren Jahre, Employer Branding und Social Media. Bei meinem letzten Messebesuch gab es noch zahllose mit dem Social Media-Etikett versehene Veranstaltungen (von unterschiedlicher Qualität), die alle gut bis sehr gut besucht waren. Die erste Geige spielten diese Themen 2015 nicht mehr.
Selbstfindungsmonolog in Sachen HR
Überhaupt gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass bei etlichen Megasellern von einst die Luft raus ist. Das gilt auch für den nicht enden wollenden Selbstfindungsmonolog der HR-Funktion. Mit gelassener Routine schaut sich der versierte HR-Messen- und Kongressebesucher mittlerweile auch die inszenierten Übungen zur Selbstfindung der HR-Funktion an. Auf der Zukunft Personal 2016 wurde er gleich am Eingang damit versorgt: Die Messe konnte man alternativ durch ein HR-Verwalter oder ein HR-Gestalter-Tor betreten. Wenn der ewige „verwalten“ oder „gestalten“-Monolog der HR-Community sich auf die Gestaltung des Eingangstors zu der Fachmesse der Branche auswirkt, hat die Welle ihren höchsten Punkt schon wieder überschritten, oder? Im nächsten Jahr kann dann nur noch der kollektive Selbstgeißelungszug durch die Messehallen den erreichten Status toppen. Ich bin gespannt.